05.12.2019 – Martina K.-H.‘s letzter Tag in Rumänien

Gestern habe ich eine Schreibpause gebraucht. Wir haben über den Tag über 1000 Päckchen verteilt. Abends wussten wir alle nicht mehr wirklich wo oben und unten war und welche Schule wo war. Eigentlich wollten wir schon viel weiter mit dem Verteilen sein, doch leider kommen Pläne grundsätzlich anders als sie ursprünglich ins Leben gerufen wurden.

Das einzige was ich zu gestern noch mitteilen möchte ist zu einem landwirtschaftlichen Gymnasium. Hier haben wir Weihnachtsgeschenke abgegeben und gefüllte Turnbeutel. Es sah von außen so heruntergekommen aus, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, dass hier doch tatsächlich ein Lehrer unterrichtet. Meine Neugierde trieb mich in das Gebäude, ich fragte Rosi, ob wir uns umsehen durften und prompt bekamen wir eine Führung. Ich sag euch was, so eine Schule habe ich noch nicht gesehen. Uralt, heruntergekommen und extrem baufällig. Vielleicht habt ihr schon die Bilder gesehen. Das Klassenzimmer war wirklich unterirdisch. Die Tische und Stühle waren verschlissen und manchmal nicht mehr wirklich zu benutzen. Es war so erbärmlich. Wir wurden dann noch in dem Internat herumgeführt. Alles sehr einfach und wirklich nicht viel da…. Die Jungs von dort haben gleich mitangepackt. Manche Umkartons waren ein wenig schwer und ein Junge wollte unbedingt helfen, leider hatte er nicht die Kraft dazu und kippte mit dem Karton auf die Seite… Mein Mutterherz muss ich hier immer ganz schnell wieder einsammeln und gut zureden…

Manchmal ist es so, dass das eigene Herz bei manchen Stationen mehr tun möchte und ich sage euch und hoffe wirklich sehr, dass wir hier nächstes Jahr ein paar blitzende Augen sehen dürfen…

So und nun zu heute… Heute war/ist mein großer Tag auf den ich schon so lange warte und draufhinarbeite… Vielleicht hat der eine oder andere schon von unserem „Bub“ gelesen oder gehört. Ja genau dort waren wir heute. Vor zwei Wochen erreichte uns eine schreckliche Hiobsbotschaft. Das Haus der Oma und von Cosmin (so heißt der Bub) ist abgebrannt. Wir haben sofort unsere Hilfe angeboten und noch in Deutschland eine Einrichtung für einen Container gekauft. Betten, Schrank, Kommode und Herd haben wir letzte Woche noch bei unserem schwedischen Fachhändler gekauft und zusammengestellt. Was wäre die Welt ohne Ikea????? Das bringt mich auch gleich zum Nachdenken. Kennt ihr jemand, der noch nie beim Ikea war? Ich schon. Ich bin sicher, dass Cosmin und seine Oma noch nie dort waren. Wahrscheinlich kennen sie nicht mal das Logo. Seltsam oder? Wir wohnen alle in der EU und da gibt es doch tatsächlich Menschen, die noch nie bei Ikea waren. Heute Nacht schlafen die beiden in ihren neuen Ikea-Betten und ich hoffe, dass sie gut schlafen.

Zurück zum Zustand. Das Haus ist bis auf eine übriggebliebene Müllhalde abgebrannt. Eine kleine Hütte steht noch, da drin wohnen ein paar Ziegen, Hunde und Katzen. Corina, unsere vertrauenswürdige Kontaktperson in Craiova hat mit der Gemeinde ausgehandelt, dass ein Container aufgestellt wird, welchen wir dann einrichten.

Einen Container habe ich noch niemals eingeräumt. Mit Ikea Kartons sind wir also los und machten uns auf den Weg. Als wir in diesem Dorf ankamen und in eine Straße in der Nähe der Kirche abgebogen sind… rannte eine ältere Dame und ein Junge die Straße entlang… der Junge zog seine Kapuze nach unten drehte sich, sah uns im LKW und hat gleich sein Zahnpasta-Lächeln aufgesetzt. Mich hat es vor Freude fast umgehauen. Wie doch zwei fast fremde blaue Augen auf einen wirken können. Es fällt mir so schwer, den so wichtigen Abstand zu wahren, dass es mir einfach nur weh tut. Ich weiß, dass wir nur begrenzt helfen können, ich weiß, dass er 4 Jahre mit seinen 15 Jahren nicht mehr in der Schule war und ich weiß er ist durchs Raster gefallen, ich weiß er weiß es nicht besser und ich leide, weil ich ihm nicht mehr als das jetzt bieten kann.

Kurz und gut, wir haben heute einen Container für ihn eingerichtet, haben Möbel aufgebaut und einige riesige Familienpäckchen oben drauf gepackt. Es hat uns alle sehr viel Freude bereitet. Die Omi war sehr gerührt, ich bin mir sicher, sie wußte kaum was hier passiert ist. Heute waren wir das „Zuhause im Glück“-Team. Wisst ihr was mir heute auch noch sehr wichtig war, bzw. was heute einfach schön war, für mich als Mama. Meine jüngere Tochter (14 Jahre) war dabei. Sie durfte mich begleiten. Wir haben gemeinsam geholfen und sie war so zufrieden heute, dass wir die Möglichkeit hatten, dies zu tun. Insgeheim hätten wir Cosmin gerne einfach nur eingepackt, aber das geht nun natürlich schon überhaupt gar nicht.

Bitte schaut die Bilder in der Galerie an und seht die schockierenden Bilder von seinem alten Zuhause. Es ist so traurig, dass er es tatsächlich nun besser wohnt. Überlegt mal wievielen Menschen, dass das passiert? Nach einem Brand ein schöneres Zuhause zu haben… Auf jeden Fall steht neben der abgebrannten Ruine nun ein Container. Frisch geputzt und mit Liebe eingerichtet. Ich und die Liebe… das ist so eine Störung von mir… mit Liebe gepackt… mit Liebe eingerichtet… alles Dinge die man so nicht kaufen kann und trotzdem sieht man es, ob etwas mit liebe und Herz passiert ist.. Versucht es mal mit Liebe und ihr werdet sehen, das klappt, sieht und spürt man..

Wir waren heute alle mit sehr viel Liebe unterwegs und haben in zwei strahlende blaue Teenie-Augen sehen dürfen. Cosmin hat sich so sehr gefreut. Er hat mich in dieser Woche gerettet. Und wenn auch alle mir erklären möchten, dass hier nichts weiter geht… kann ich noch nicht aufgeben und wünsche mir umso mehr, dass eines Tages für Cosmin eine andere Welt anbricht und er auch selber sehen kann was ich in ihm sehe. Nämlich dass er wunderbar ist und wie wir alle, wenn er will alles kann… ja ich weiß, das ist wieder so ein „Chakkaa, wir schaffen das Ding. Habt ihr mal versucht? Einfach zu machen? Nicht zu jammern, Augen zu und durch? Das klappt, gelle?

Eine sehr ergreifende Situation heute war als wir uns verabschiedeten. Lars hat beim Abschied seine gelbe Jacke ausgezogen und Cosmin geschenkt…. Ich weiß nicht wer mehr gerührt war… der Junge oder Lars… Lars du bist einfach dufte!!!! Die Oma musste ich dann zum Abschied noch ganz feste drücken, sie gab mir einen Kuß auf die Wange und ich habe ihr versprochen, wir kommen wieder… wir kommen wieder und lieber Cosmin, in meinem Herzen gebe ich dich nicht auf, auch wenn fast alle erklären, dass mehr nicht geht, du bist ein Mensch, der vielleicht zur falschen Zeit am falschen Ort auf die Welt kam und auch du hast es verdient, dass man dich nicht abschreibt…

Wir geben nicht auf… und machen weiter…

 So nun ist es 23:30, morgen früh müssen wir los. Auf nach Hause.. ich freue mich auf meine große Tochter, auf unser Zuhause… und vielleicht melde ich mich von der ewiglangen Rückfahrt wieder.

Machts gut!

Liebe Grüße Martina